Kwaheri Askari - Auf Wiedersehen, Askari

Der Junge aus der Lettow-Mappe.

 

Mustapha bin Mabruk Lettow Mappe Ruckteschell

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entstand das rätselhafte Porträt eines ‚schwarzen’ Jungen. Dicht gesetzte Strichlagen geben nahezu fotorealistisch das Äußere eines Afrikaners wieder. Man könnte ihn ohne Weiteres erkennen, würde man ihm heute begegnen. Dem Betrachter scheint Mustapha auf besondere Weise zugewandt, ja ‚zugeneigt’ zu sein. Hunger oder Leid waren nicht Thema der Darstellung. Zur expressionistischen Kunst der Zeit steht die ‚schöne Pose’ des Jugendstils in auffälligem Widerspruch. Der Künstler hielt ungebrochen an einer Ausdrucksweise fest, als hätte es die umstürzenden Ereignisse des Ersten Weltkriegs nicht gegeben. Und schrieb doch die Jahreszahl 1918 auf das Blatt.

Das Bild berührt, doch es irritiert zugleich. Das hat Anja Seelke interessiert. Wer war der Junge und war er tatsächlich unberührt vom Kriegsgeschehen? Die Malerin begab sich auf Spurensuche und stellte fest: Mustapha hat am Ersten Weltkrieg in Deutsch-Ostafrika teilgenommen. Er war das jüngste Mitglied der Kaiserlichen 'Schutztruppe' unter General Paul von Lettow-Vorbeck.

 

Hinter dem schönen Gesicht auf dem Umschlag der Lettow-Mappe (1921) verbirgt sich die tragische Geschichte eines deutschen Kindersoldaten, der seinen Vater im Krieg verlor und selbst nur mit knapper Not überlebte.

In der Weimarer Republik erlangte „Signalschüler Mustapha“ mediale Popularität. Paul von Lettow-Vorbeck und Walter von Ruckteschell stilisierten ihn in dem kriegsverherrlichenden Jugendbestseller „Heia Safari!“ (1920) zu einem ‚echten Kerl von Schrot und Korn’, der zu töten lernt. Im nationalsozialistischen Kolonial-Kinofilm „Die Reiter von Deutsch-Ostafrika“ (Selpin, 1934) bezeugt sein Auftritt die Loyalität gegenüber seinen deutschen Herren.

 

Zwar wurde die „Treue der Askari“ von Historikern längst als Mythos entlarvt. Doch die Porträts der Lettow-Mappe galten Kunsthistorikern weiterhin als „enorm eindringlich“ und „fern jeder kolonialistischen Sichtweise“ entstanden (Bassenge, 2018). Jahrzehntelang nahezu vergessen, erlebt der Künstler seit etwa dreißig Jahren eine erstaunliche Renaissance, die vor Augen führt, wie hartnäckig sich die „Legende vom deutschen Kolonialidyll“ (Ralph Giordano) hält. Walter von Ruckteschell schuf Propaganda für Krieg und Kolonisation und gilt als Künstler, der „für Verständigung und Vertrauen zwischen den Völkern wirbt“ (Unger-Richter).

 

Die Zeit ist reif, auch in der Kunst und ihrer Betrachtung eingefahrene Wahrnehmungsmuster zu durchbrechen und mangelnde Sensibilisierung aufzuarbeiten.

Die Zeit deutscher Kolonialherrschaft war kurz, doch sie offenbart einen Abgrund verstörender Gewalt und Menschenverachtung – mit Kontinuitäten bis in die Zeit des Nationalsozialismus. Dennoch erweist sie sich noch immer als blinder Fleck der Allgemeinbildung. Eingang in den Schulunterricht findet das Thema kaum.

Angesichts von Flucht und Migration und der Black-lives-matter-Bewegung ist eine Auseinandersetzung wichtiger denn je.

Seelke Mustapha bin Mabruk Lettow Mappe

Wer Mustapha bin Mabruk wirklich war, was er erlebt und wie er gehandelt hat, liegt in seinem Porträt vergessen.

 

Die sorgfältig recherchierte „Lesung vor Porträts“ berichtet über das Schicksal des afrikanischen Jungen allein aufgrund historischer Fakten und neuerer Forschungsergebnisse und ermöglicht auf diese Weise einen aktuellen Zugang zu einer historischen Person in ihrer Zeit.

 

Walter von Ruckteschell wird als Propagandist für Krieg und Kolonisation entlarvt. Die Autorin veröffentlicht erstmals historische Quellentexte aus dem Nachlaß des Künstlers, den sie im Rahmen des Ruckteschell-Stipendiums der Stadt Dachau 2021 neu erforscht hat.

 

„Die Arbeit von Anja Seelke während ihrer Residenz in Dachau hat deutlich gemacht, dass Walter von Ruckteschell im Lichte ihrer Forschung völlig neu und weitaus kritischer als bisher betrachtet werden muß. Die Stadt Dachau wird dem nicht aus dem Weg gehen“. Florian Hartmann, Oberbürgermeister der Stadt Dachau.

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